
Eine Branche mit der Kraft, sich zu behaupten
1. Juni 2025Dr. Marc Surminski |
Wenn man 75 Jahre alt ist, hat man schon einige Weltuntergänge miterlebt. Und festgestellt, dass die Welt eben doch nicht untergegangen ist. An der deutschen Versicherungswirtschaft, traditionell ein Bild von unerschütterbarer Solidität, unerschöpflichen finanziellen Mitteln und unbesiegbarer Vertriebskraft, arbeiten sich die Weltuntergangspropheten schon seit vielen Jahrzehnten ab. Aber ihre Prophezeiungen sind alle nicht wahrgeworden: Der persönliche Vertrieb dominiert noch immer das Geschäft, Insurtechs drängten die traditionellen Anbieter nicht an den Rand, die großen Internetgiganten haben das Versicherungsgeschäft nicht erobert – und es gibt immer noch sehr viele Versicherer in Deutschland.
Ein Blick zurück auf die letzten Jahre zeigt: Es hat sich zweifellos eine Menge verändert in der deutschen Assekuranz. Die Branche ist gegenüber dem Jahr 2000 oder gar gegenüber 1950, dem Gründungsjahr der Zeitschrift für Versicherungswesen, kaum wiederzuerkennen. So lief in dieser Zeit ein gewaltiger Konzentrationsprozess ab, und viele große und kleine Namen verschwanden.
Aber das Wichtigste, der Kern ihrer Existenz hat sich für die Branche nicht verändert: Die großen, mittleren und kleinen Unternehmen der Assekuranz dominieren nach wie vor das Geschäft mit der Abdeckung von Risiken. Niemand hat ihr Geschäftsmodell wirklich disruptiert. Die vielen Revolutionen, die in der Vergangenheit ausgerufen wurden, fanden nicht statt.
Das liegt daran, dass sich die Versicherer im Gegensatz zu ihrem Image als innovationsfeindlich, hierarchisch verknöchert und technologisch abgehängt eben doch erfolgreich an die sich veränderte Umwelt anpassen können. Trotz der zahlreichen Probleme, die es heute gibt – etwa mit der Transformation der IT-Altsysteme – ist die Versicherungswirtschaft bei der Digitalisierung auf einem Level angekommen, das Viele ihr von zehn Jahren nicht zugetraut hätten. Und das Angebot von Insurtechs und neuen digitalen Plattformen ist offenbar nicht so viel besser, als dass die Kunden ihnen in Massen zulaufen würden. Auch KI muss künftig keine Bedrohung sein, wenn die Branche die großen Möglichkeiten für sich nutzt.
Die deutschen Versicherer waren in der Lage, sich zu behaupten und ihr Geschäftsmodell erfolgreich zu verteidigen. Heute agiert in vielen Unternehmen eine Führungsgeneration, die offen für Innovationen ist und es schafft, die großen und kleinen Tanker der Assekuranz auf einen neuen Kurs zu steuern. Dabei hilft ihr der Vertrauensvorschuss, den die Versicherer und die Vermittler bei den meisten Menschen immer noch haben – obwohl das Image der Branche bei jeder Umfrage notorisch schlecht ist. Fernbild und Nahbild klaffen hier weiter gewaltig auseinander.
Die Zeitschrift für Versicherungswesen hat ihre Aufgabe immer darin gesehen, die Branche bei der Suche nach dem richtigen Kurs zu unterstützen. Schon zur Gründung im Jahr 1950 hieß es: „Mit dieser neuen Fachzeitschrift soll allen an der Versicherungswirtschaft Interessierten der Weg geebnet werden, sich unabhängig von der Meinung eines bestimmten Interessentenkreises ein eigenes Bild zu formen und mitzuarbeiten.“
Dieses Motto gilt bis heute. Das bedeutet auch, vor Irrwegen zu warnen und den einen oder anderen Ballon mit heißer Luft abzuschießen, wenn es nötig ist. In 75 Jahren hat sich die ZfV damit als kritischer, unabhängiger Begleiter der deutschen Versicherungswirtschaft etabliert. Dieser Rolle bleiben wir weiter treu – wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, es wollen, gern bis wir 100 sind!
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