
Eine neue Verbraucherschutzorganisation namens BaFin
1. Mai 2025Dr. Marc Surminski |
Die deutsche Versicherungsaufsicht sah sich traditionell schon immer auch als Institution des Verbraucherschutzes. Aber wenn man ehrlich ist, stand diese Aufgabe meist eher nicht im Mittelpunkt. Im Kern ging es um die Sicherstellung der finanziellen Solidität der Branche – und damit nicht selten auch um den Schutz der Branche vor sich selbst. Dass auf diese Weise auch die Verbraucher letztlich nahezu immer vor Versicherungspleiten geschützt wurden, ist die logische Konsequenz dieses Ansatzes.
Seit einiger Zeit weht aber ein neuer Wind. Er kommt aus Brüssel und hat auch die BaFin beflügelt. Unter dem Schlagwort „Value for Money“ steht nun nicht mehr nur die Frage im Mittelpunk, ob die Versicherer richtig kalkulieren, sondern ob sie auch im Sinne der Kunden kalkulieren. Das Kundeninteresse ist nun ein neuer Leitstern der Aufsicht. Das ist ein echter Paradigmenwechsel. Manche Aktivitäten der BaFin bei der Umsetzung von „Value for Money“-Prinzipien waren zwar durchaus von dem Gedanken geleitet, für die Branche mit deutscher Eigeninitiative aus Bonn Schlimmeres aus Brüssel zu verhindern, etwa bei der Deckelung von Vertriebskosten. Aber egal was die Motive sind – mit ihren Aktivitäten einer Wohlverhaltensaufsicht schlägt die BaFin ein neues Kapitel auf.
Zuerst standen dabei die Kosten für Altersvorsorgeprodukte im Fokus. Hier hat die Aufsicht mit ihren Vorgaben, was bei den Vertriebsvergütungen nicht mehr mit dem Kundeninteresse vereinbar ist, im Markt Pflöcke eingeschlagen, bei denen es kein Zurück mehr in alte Vergütungsherrlichkeiten gibt. (Auch wenn sich große Kostensünder davon mit Ablasszahlungen an ihre Kunden zumindest vorübergehend freigekaut haben.) Die BaFin legt fest, welche Kosten noch im Interesse der Kunden sind. Man mag das für einen unzulässigen Eingriff in die Marktwirtschaft halten. Da die Branche aber selbst in vielen Jahren keine eigene Lösung für das Kostenproblem fand, erscheint der Eingriff nur folgerichtig.
In einem weiteren Schritt kümmert sich die BaFin nun seit Kurzem schwerpunktmäßig darum, inwieweit die aktuelle Praxis der Schadenregulierung im Kundeninteresse ist. Auch hier macht die Aufsicht konkrete Vorgaben – nämlich wie lange eine Regulierung dauern sollte. Auch hierbei geht es um einen Kernbereich des Versicherungsgeschäftes: Eine zu lange Schadenregulierung ist definitiv nicht im Interesse der Kunden.
Und am Horizont zeichnet sich schon der nächste Einsatz der BaFin im Sinne von „Value for Money“ ab: Inwiefern ist die Kalkulation der Lebenserwartung in der Rentenversicherung mit den Kundeninteressen zu vereinbaren, wenn die traditionellen Sicherheitspuffer für viele Kunden eine Rentenversicherung zu einem unattraktiven Produkt machen? (Obwohl doch gerade die Absicherung des Langlebigkeitsrisikos eine Kernaufgabe der Lebensversicherung ist.) Sollte die Aufsicht hier Handlungsbedarf sehen, wäre das der nächste Bereich, in dem sie in das Geschäftsmodell der Versicherer eingreift – weil sie die Kunden benachteiligt sieht.
Der Branche wären diese Eingriffe der BaFin erspart geblieben, wenn sie aus eigenem Antrieb Verbesserungen umgesetzt hätte. Aber das wollte sie bei den Abschlusskosten über viele Jahre nie so richtig, und bei der Schadenregulierung kam mancherorts zum Wenig-Wollen noch das Nicht-Können dazu. Jetzt müssen die deutschen Versicherer mit dieser neuen, aktiven Verbraucherschutzorganisation namens BaFin leben. Blickt man in andere Länder, ist das aber noch die bessere Alternative zu verbraucherschutzbeseelten Politikern, die radikale Veränderungen für die Branche durchsetzen, ohne etwa wie in Großbritannien bei der Abschaffung der Abschlussprovisionen über die Konsequenzen wirklich nachgedacht zu haben. Die Gefahr besteht bei der BaFin sicher nicht.
Kategorisiert in: 202505 BaFin Titelthema Wirtschaftskommentar