
Renten-Puzzle
1. August 2025Eine der größten Baustellen der neuen Bundesregierung ist die Reform der Sozialversicherungssysteme. Hier geht es um die existentielle Zukunftssicherung der Menschen. Allerdings sind Union und SPD bei diesem Thema in grundlegenden Fragen unterschiedlicher Meinung. Es steht daher zu befürchten, dass es auch in dieser Legislaturperiode wieder nur zu eher kosmetischen Reformen kommt, bei denen man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt. Die Koalitionspartner stecken im Dilemma: Eigentlich wissen sie, dass sie handeln müssen und die Probleme nicht mehr mit zusätzlichem Geld zudecken können. Aber sie fürchten, es sich bei falschen Kompromissen mit ihren Wählern zu verderben. Und weil es für beide Parteien keine realistische Koalitionsalternative gibt, sind sie dazu verdammt, aneinandergeklammert aus der Lage irgendwie das Beste zu machen.
Dementsprechend fallen denn auch die Reformpläne aus, die bisher auf dem Tisch liegen. In der Kranken- und Pflegeversicherung liegt noch kaum etwas Substantielles vor; hier sind nur „Reformkommissionen“ angekündigt. In der Rentenversicherung ist ein Puzzle von Einzelmaßnahmen zu erkennen, die noch kein einheitliches Bild ergeben. Mütterrente und Rente mit 63, die Prestigeprojekte von CSU und SPD, werden nicht angetastet, was weitere Milliardenkosten bedeutet. Stattdessen kommt die „Aktivrente“: Sie fördert Menschen, die länger arbeiten wollen. Gleichzeitig belohnt die Bundesregierung aber absurderweise dann weiter alle Babyboomer, die mit 63 aus dem Beruf aussteigen.
Die Haltelinie für die Rente („nicht unter 48%“) bleibt festgezurrt, obwohl das angesichts der demographischen Lasten für das Umlagesystem nur mit gigantischem finanziellen Aufwand ermöglicht werden kann. Mit der „Frühstart-Rente“ für Kinder zwischen 6-18 Jahren wird es immerhin einen Mini-Baustein für private, kapitalgedeckte Vorsorge geben. Sie würde aber nur dann wirklich bei der späteren Rente helfen, wenn sie anschließend in eine neue, staatlich geförderte private Altersvorsorge umgewandelt werden kann. Hier läge eine Verknüpfung mit der Riester-Reform nahe. Aber die steht momentan nicht auf der Agenda der Bundesregierung. Stattdessen hat sich die neue Arbeits- und Sozialministerin Bas als ersten Reformaufschlag die bAV ausgesucht. Das ist sozialdemokratischer Hometurf, hier gibt es auch gute Ideen, um die Verbreitung von betrieblicher Vorsorge voranzubringen, etwa die Abschaffung der Tarifbindung beim Sozialpartnermodell oder die Einführung von Opt-out-Lösungen.
An die Tabuthemen der Rente wagt sich die Bundesregierung aber bisher nicht heran: Ohne einen späteren Renteneintritt ist das gesetzliche Rentensystem in der bisherigen Form nicht zu halten. Viele europäische Länder sehen das inzwischen ein und handeln – in der deutschen Politik scheint das 25 Jahre nach den einschneidenden Reformen der Regierung Schröder nicht möglich zu sein. Insofern stehen alle Maßnahmen für die Rente unter dem Zwang, entweder die Sozialbeiträge zu erhöhen, die Leistungen anderweitig zu kürzen oder die Steuerzuschüsse ins Unermessliche steigen zu lassen. Nur deutlich mehr kapitalgedeckte Vorsorge (mit entsprechender staatlicher Förderung) böte einen Ausweg – heute ein NoGo für die SPD. Die hierfür nötigen zusätzlichen finanziellen Mittel wären aber gut angelegtes Geld, damit künftig zusätzliche Erträge vom Kapitalmarkt die finanzielle Versorgung im Alter absichern.
Nötige Grausamkeiten, so ein alter Glaubenssatz der Politik, muss eine neue Regierung immer am Anfang ihrer Amtszeit begehen. Es ist fraglich, ob die neue Bundesregierung die Kraft zu schmerzhaften Reformen aufbringt und ob sie sich überhaupt darauf einigen könnte, welche Grausamkeiten denn nötig sind. Über allem schwebt zudem die Angst vor der AfD, der man nicht durch tiefe soziale Einschnitte weitere Wähler zutreiben will. Schlechte Aussichten also, dass aus dem Reformpuzzle der Bundesregierung tatsächlich ein stimmiges Gesamtbild wird.
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