Erste Aufweichungstendenzen im harten Markt – Bleiben die Rückversicherer relevant?
1. November 2023Dr. Marc Surminski |
Gibt es erste Aufweichungstendenzen im harten Markt? In Monte Carlo sah es noch nicht danach aus: Die Rückversicherer konnten vor lauter Kraft kaum gehen und stimmten die Branche auf weiter steigende Preise oder doch zumindest auf ein unverändert hohes Preisniveau ein. In Baden-Baden gab es jetzt erste Signale, dass sich der Wind drehen könnte. Manche Makler riefen schon wieder eine Rückkehr des Wettbewerbs aus – weil es eben doch einige Rückversicherer gebe, die angesichts der positiven Marktbedingungen weiter wachsen wollten und für Bewegung bei den Preisen sorgen könnten.
Die Ergebnisse vieler Rückversicherer waren zuletzt nicht schlecht. Das Rückversicherungskapital (traditionell und alternativ) ist 2023 spürbar gestiegen, wenn es auch das Level früherer Jahre noch nicht wieder erreicht hat. Das Schadenniveau in zentralen Bereichen wie Elementar ist zwar weiter hoch, aber es gab 2023 noch keinen Mega-Schaden, der als Grund für neue, starke Beitragsanpassungen dienen könnte, sieht man einmal vom extremen NatCat-Markt in den USA ab, wo für manche Regionen bereits ein Deckungsnotstand besteht. Und die stark steigenden Prämieneinnahmen können die Rückversicherer nach der Zinswende mit deutlich höheren Renditen anlegen, was mehr Spielraum im Underwriting bringt.
Die allgemeinen Vorzeichen lassen also darauf schließen, das eine Trendwende im Markt möglich sein könnte. Allerdings dürfte das die aktuelle Erneuerungsrunde noch eher wenig betreffen, denn es fehlt momentan ein entscheidender Faktor für eine Umkehr: Neue Anbieter mit neuer Kapazität, die Bewegung in den Markt bringen, wie es am Ende früherer Hartmarktphasen häufig der Fall war. Eine „Class of 23“ ist nicht zu sehen. In wichtigen Bereichen des alternativen Kapitals gibt es nach wie vor wenig Dynamik: Das Volumen von Collateralized Reinsurance ist nach Angaben von Scor gesunken, Sidecars stagnieren.
Die Befürchtung, dass neues Kapital und neue Anbieter den harten Markt vor der Zeit zerstören könnten, hat sich in den letzten Jahren nicht bewahrheitet. Investoren sind nicht scharenweise in den Rückversicherungsmarkt geströmt. Das hat die Preise hochgehalten, zeigt allerdings auch, dass etliche Investoren den Rückversicherungsmarkt nicht so attraktiv finden. Das ist ein Problem für die etablierten Rückversicherer – auch weil viele selbst im Geschäft mit alternativem Kapital aktiv sind.
Angesichts der gewaltigen Deckungslücken, die es etwa in den Bereichen Cyber und Naturkatastrophen/Klimawandel gibt, muss die Branche dafür sorgen, jenseits der zyklischen Diskussion um einen harten oder weichen Markt für Investoren wieder attraktiver zu werden. Denn will die Rückversicherung ihrer traditionellen Rolle gerecht werden und für die Versicherbarkeit der existentiellen Risiken von Mensch und Gesellschaft sorgen, muss sie genug Kapazität aufbringen, um relevant zu bleiben.
Das Problem kann man im deutschen Markt gut studieren: Sollte es zu einer Elementarpflichtversicherung kommen, dürfte eine zusätzliche Rückversicherungskapazität von mindestens 10 Mrd. Euro nötig sein. Angesichts der aktuellen Marktbedingungen wäre das kaum zu stemmen und nur über den Kapitalmarkt zu lösen. Die Branche müsste sich fragen lassen, welche Rolle sie künftig bei der Übernahme von großen Risiken noch spielen kann.
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